Am Donnerstag ist die polizeiliche Kriminalstatistik 2017 präsentiert worden. Nicht jeder Bericht darüber war sachlich. Beim Lesen sollte man sich daher einige kritische Fragen stellen.
Gleich nach der Präsentation der polizeilichen Kriminalstatistik am Donnerstag konnte man die ersten Berichte darüber lesen. Es ist erstaunlich zu sehen, wie unterschiedlich diese sind. Je nachdem, auf welchem Aspekt der Fokus liegt und in welchen Kontext er gesetzt ist, erscheinen dieselben – an sich wertfreien Daten – in ganz unterschiedlichem Licht. Daher sollte man sich beim Lesen der Artikel einige kritische Fragen stellen.
Frage 1: Handelt es sich um Trends oder um Momentaufnahmen?
Antwort: Medien schreiben gerne über Anstiege und Rückgänge. Dinge, die gleich bleiben, haben keinen Nachrichtenwert, deswegen werden sie selten erwähnt. Besonders spannend wird es dann, wenn etwa der Anstieg stark, extrem oder gar eklatant ist. Dabei muss man beachten: Wirklich aussagekräftig sind in Wahrheit nur eindeutige Trends, etwa eine Entwicklung der letzten zehn Jahre. Ein Plus oder Minus in Bezug auf das Vorjahr kann interessant sein, wenn in diesem Jahr etwas passiert ist, zum Beispiel das Inkrafttreten eines neuen Gesetzes. Im Großen und Ganzen muss man aber vorsichtig dabei sein, wenn man daraus Schlüsse ziehen will.
Sind es immer eindeutige Trends, über die in den letzten Tagen berichtet wurde?
Nein. Einen Trend sieht man zum Beispiel bei der Zahl der Anzeigen wegen Wohnungseinbrüchen oder KFZ-Diebstählen, wo die Kurve seit Jahren konstant nach unten geht. Eine positive Entwicklung sieht man auch bei der Aufklärungsquote der Polizei.
Ein ebenso klarer Trend ist bei der Entwicklung der Cyberkriminalität zu sehen, hier geht die Kurve allerdings steil nach oben, was heißt, dass die Anzeigen seit Jahren kontinuierlich steigen.
Ebenso seit Jahren im Steigen ist die Anzahl der angezeigten Gewaltdelikte, bei denen Stichwaffen zum Einsatz kamen.
Bei Gewaltdelikten insgesamt sieht man im Verlauf der letzten Jahre ein ständiges leichtes Auf und Ab auf demselben Niveau, also keinen klaren Trend. In Bezug auf 2016 ist die Zahl der Anzeigen allerdings um fünf Prozent gesunken. Zwei von drei Gewalttaten sind Beziehungstaten.
Die Gesamtzahl der Anzeigen bewegt sich seit Jahren ungefähr im selben Bereich. Im Jahr 2017 ist allerdings der niedrigste Stand seit zehn Jahren erreicht worden.
Frage 2: Wie ist der Kontext?
Antwort: Nicht immer eindeutig.
Auf krone.at werden der Anstieg der Anzeigen wegen Sexualdelikten und die Flüchtlingskrise miteinander in Verbindung gebracht. Tatsächlich gibt es eine zeitliche Überschneidung: Die Flüchtlingskrise war im Jahr 2015, der im Krone-Bericht angesprochene Anstieg der Sexualdelikte-Anzeigen 2016. Es ist also möglich, dass es einen Zusammenhang gibt. Es könnte aber auch eine andere Erklärung dafür geben. 2016 ist der sogenannte „Po-Grapsch-Paragraph“ in Kraft getreten. Plötzlich erfüllten mehr Handlungen den Tatbestand der sexuellen Belästigung. Wenn man sich die Sexualdelikte genauer ansieht, zeigt sich, dass der Anstieg vor allem in den Bereichen „Belästigung“ und „Internetbasierte Delikte“ passiert ist. Bei sexueller Gewalt ist kein Trend zu sehen. So waren es 2013 – also vor der Flüchtlingskrise – 2233 angezeigte Fälle. Im Gegensatz zu 2158 im Jahr 2017.
Frage 3: Bildet die Anzahl der Anzeigen wirklich die Realität ab?
Antwort: Die polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Anzeigenstatistik. Sie sagt weder etwas über die Dunkelziffer aus, noch über den Ausgang der Gerichtsverfahren (über letzteres gibt die Verurteilungsstatistik Auskunft).
Gerade bei Sexualdelikten wird vermutet, dass die Dunkelziffer weit höher liegt. Es gibt Studien (etwa des Österreichischen Instituts für Familienforschung), laut denen über 70 Prozent der befragten Frauen sexuelle Belästigung erfahren haben und 30 Prozent sexuelle Gewalt.
Kampagnen, wie der Aktionstag „Nein zu Gewalt an Frauen“ oder öffentliche Debatten, wie die jüngste #metoo-Debatte, können dazu beitragen, dass die Hemmschwelle zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten, sinkt. Das heißt, dass bei einer gleichbleibenden Anzahl an Straftaten die Zahl der Anzeigen steigen könnte.
Wer sich alles genau anschauen möchte, kann hier den Bericht des Bundeskriminalamtes nachlesen.
Alle Grafiken Fotocredits: (c) BK
Mehr dazu:
Polizeiliche Kriminalstatistik (pdf)
Kurze Zusammenfassung der Daten und Infografiken des BK
Addendum: Interaktive Aufbereitung von Daten zur Kriminalstatistik
Der Standard: Überblicksartikel zur Kriminalstatistik
mokant.at: Ausländer und Sexualdelikte (Datenauswertungen und Infografiken)
mokant.at: Ausländer raus: Wir grapschen hier! (Kommentar)