Religiös und queer sein – geht das?

Foto: (c) Chiara Milo

Kirchlicher Glaube und queer sein, wie passt das zusammen? Christlichen Kirchen wird oft eine Haltung zugeschrieben, nach welcher vollwertige Beziehungen nur zwischen Mann und Frau denkbar sind. Schon in der Bibel steht: „Du sollst nicht beim Knaben liegen wie beim Weibe; denn es ist ein Gräuel.“

von Tamara Hellmich, Sebastian Kokesch, Stefan Resch und Emily Zens

Der Verfassungsgerichtshof realisiert im Dezember die Ehe für alle und stellt am Ende des PrideMonats Juni klar, dass in Österreich das Recht auf ein eingetragenes drittes Geschlecht besteht. Diese Entwicklung unterstützt auch die Evangelische Glaubensgemeinschaft, die ihren vierten jährlichen Gottesdienst ganz im Zeichen der „Vienna Pride 2018“ gestaltet.

Zeitgleich demonstrieren bis zu 300 Teilnehmer beim Marsch für die Familie gegen „RegenbogenPsychoterror“. Der Organisator des Marsches, Alfons Adam, bezeichnet Homosexualität als „heilbare psychische Krankheit“ – dies soll man aus der christlichen Lehre ableiten können.

Die Bibel und ihre Sünden

Lars Müller-Marienburg, Superintendent der evangelisch-lutherischen Kirche Niederösterreich, sagt dazu: „Wenn man die Bibel auf eine bestimmte Weise liest, kann diese Ableitung schon möglich sein“. So liest man zum Beispiel im Buch Levitikus, dem dritten Buch Mose: „Du sollst nicht beim Knaben liegen wie beim Weibe; denn es ist ein Gräuel.“ Müller-Marienburg meint dazu: „Man möge für sich selber prüfen, ob die dort erwähnten Gesetze heute noch anwendbar sind. Ich trage zum Beispiel gerade Mischgewebe, was dort auch verboten ist.“

Apostel Paulus greift das Thema im ersten Kapitel des Römerbriefs auf: „Darum lieferte Gott sie entehrenden Leidenschaften aus: Ihre Frauen vertauschten den natürlichen Verkehr mit dem widernatürlichen; ebenso gaben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau auf und entbrannten in Begierde zueinander; Männer treiben mit Männern Unzucht und erhalten den ihnen gebührenden Lohn für ihre Verirrung“. Diese Bibelstelle sei die einzige, in der weibliche Homosexualität überhaupt existiere, wie Müller-Marienburg lachend anmerkt. Für ihn sei der Schlüssel der Stelle aber ein anderer: „Die Männer waren so gottlos, dass sie den Verkehr mit ihren Frauen aufgegeben haben, um Verkehr mit anderen Männern zu haben. Es ist offensichtlich, dass Paulus nicht von sexueller Orientierung ausgeht.“

Dass es möglich ist, die Bibel auch pro-queer zu lesen, findet vergleichsweise wenig Erwähnung im christlichen Diskurs. Neben der Geschichte über die Liebe von David und Jonathan erwähnt Müller-Marienburg eine Heilungsgeschichte aus den Büchern Lukas und Matthäus, in der ein römischer Hauptmann zu Jesus kommt und um die Heilung seines Knechtes bittet. Anerkannte Neutestamenter bestätigen, dass es ein großes Näheverhältnis zwischen einem Zenturio und seinem Knecht gegeben haben muss. „Dieses Untergebenenverhältnis hat eben auch oft eine romantische, sexuelle Komponente gehabt. Möglicherweise war dieser Knecht mehr als nur ein Knecht und Jesus heilt ihn trotzdem.“

Bibel lesen, aber richtig

Aus dem Zusammenhang gerissen könne die Bibel für alles Mögliche verwendet werden, wie Andreas Raschke, Obmann-Stellvertreter der ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexualität und Glaube, erklärt: „Es war ja auch bei der Sklaverei so, dass die Sklaverei mit der Bibel begründet wurde. Genau so wie die Aufhebung der Sklaverei mit der Bibel begründet wurde.“ Den Aussagen Alfons Adams erwidert Raschke: „Lesen Sie Ihre Bibel genau, lesen Sie Ihre ganze Bibel.“ Wer ernsthaft Theologie betreibe, könne nicht mehr zu solchen Schlüssen kommen.

Stimmen gegen die Toleranz kommen jedoch nicht nur vom fundamentalistischen Marsch für die Familie. Vertreter der katholischen Kirche in Österreich nehmen den Katechismus, das Handbuch der Grundfragen des christlichen Glaubens, sehr wörtlich und halten es nach wie vor traditionell mit der Homosexualität als Sünde. In dem zuletzt 1992 aktualisiert herausgegebenen Handbuch heißt es in Absatz 2357: „Sie [gleichgeschlechtliche Beziehungen] sind in keinem Fall zu billigen.“ Im nächsten wird dazu aufgerufen, Homosexuellen mit „Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen“. Im Februar 2018 verglich der mittlerweile zurückgetretene Salzburger Weihbischof Andreas Laun die Segnung gleichgeschlechtlicher Liebe mit der Segnung von Konzentrationslagern. Auch Papst Franziskus ringt mit seiner Position zur Homosexualität. Während er immer wieder für Verständnis und Inklusion eintritt, meinte er 2016 zu dem Thema „Sünde bleibt Sünde„. Im August 2018 sagte Franziskus im Rahmen einer Pressekonferenz, dass „viel mit Psychiatrie gemacht werden kann„, wenn sich Homosexualität schon im Kindesalter zeigt. Letztere Äußerung wurde jedoch aus der vom Vatikan selbst veröffentlichten Niederschrift der Pressekonferenz entfernt.

Katholisch und progressiv – ein ewiger Widerspruch?

Im Interview mit Sophia, einer Schülerin und praktizierenden Katholikin, kehren Haltungen wieder, wie sie Katholik*innen vorgeworfen werden. In ihrem kirchlichen Umfeld nimmt sie die Einstellung gegenüber der LGBTIQ-Community als „eigentlich nur dagegen“ wahr. Obwohl sich die offizielle Lehre der katholischen Kirche dagegen positioniere, fordere diese doch respektvollen Umgang und warnt im Katechismus davor, „[diese Menschen] in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen“. Sophia erläutert: „Für mich gibt es einen Unterschied zwischen ‚Ich bin dagegen, aber ich respektiere dich‘ und ‚Ich bin dagegen und ich hasse dich‘.“ Auf die Frage, ob Homosexualität denn eine Entscheidung sei, antwortet Sophia: „Für die katholische Kirche ist es eine Entscheidung. Für mich selbst… Ich weiß nicht. Ich habe keine Ahnung“.

Eine Sünde sei es für die katholische Kirche dennoch, sagt Sophia: „Aber wir sagen auch, du sollst die Sünde hassen, aber den Sünder lieben.“ Beim Nachhaken, was es denn konkret bedeute, den Sünder zu lieben, war Sophia sich unsicher. Konfrontiert mit den Aussagen Adams meinte sie, dass der Marsch für die Familie „etwas ganz Schwieriges“ für sie sei, da sich dort vor allem Mitglieder der rechten Szene finden. Sie selbst würde die Veranstaltung keinesfalls besuchen. Auf die Frage, ob sie für Veränderungen in der Kirche wäre, erklärt sie: „In Bezug auf die gleichgeschlechtliche Ehe nicht. Das Verständnis einer christlichen Ehe ist nicht so. Aber ich würde den Dialog suchen, anstatt alles zu verteufeln.“

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Foto: (c) Kimberley Heuthe / www.heuthe.com

Die Farben der katholischen Kirche

Konservative Meinungen bilden aber nicht den Großteil in der katholischen Kirche. Wie jede Glaubensgemeinschaft ist sie nicht homogen. Eine der Fürsprecher*innen einer toleranteren katholischen Gemeinschaft ist Johanna. Sie arbeitet für die katholische Jungschar (KSJÖ), die offizielle Kinderorganisation der Kirche, und schult deren Gruppenleiter*innen. Beim Gespräch trägt sie noch das Armband der Regenbogenparade.

Ihr ist es wichtig, zu betonen, dass in der Jungschar als kirchliche Organisation ein buntes Spektrum an Meinungen und Ausrichtungen Platz habe. In deren Positionspapier steht: „Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie verletzt nicht nur betroffene Eltern, sondern auch ihre Kinder und ist damit ein Gewaltakt gegenüber der ganzen Familie.“ Und weiter: „Familien abseits des Vater-Mutter-Kind-Modells sind oft besonderem gesellschaftlichem und/oder sozialem Druck ausgeliefert. Die KJSÖ fordert Akzeptanz und Wertschätzung für jegliche Familienform, in der das Kindeswohl sichergestellt ist.“ Damit stellt sie sich klar gegen das katholische Familienbild, wie es auch der Katechismus vorgibt.

Johanna würde den ehrenamtlichen Gruppenleiter*innen, die Jugendliche betreuen, die ihre sexuelle Orientierung entdecken, raten, diplomatisch zu formulieren. „Das ist ein wichtiges Element. Aber ich bin da sehr direkt. Wenn jetzt einer zu dir kommt und sagt: ‚Ich glaube, ich bin homosexuell‘, dann sag: ‚Super! Was tun wir jetzt?‘ – Unterstütze den Menschen darin.“ Als sie auf homophobe Aussagen österreichischer Priester angesprochen wird, hebt sie hervor: „Da ist es wichtig, sich wirklich aktiv nach außen dagegen zu positionieren. Ich finde das wichtig, dass man sieht, dass es auch innerhalb der Kirche zwei ganz unterschiedliche Zugänge dazu gibt.“

Auf die Frage, ob offen homosexuelle Geistliche für sie denkbar wären, werden diese Zugänge innerhalb der katholischen Kirche besonders sichtbar: „Für uns schon, klar. Aber das ist aus einer kirchenhierarchischen Perspektive überhaupt nicht vorstellbar. Ich kann mir gar nicht ausmalen, was dann kommen würde, von… bestimmten Menschen.“

Was will Gott?

Andreas Raschke meint: „Gegen das, was meine Persönlichkeit ist, zu agieren, ist etwas, das Leben zerstört“. Es sei Gottes Wille seine Homosexualität verantwortungsvoll zu wählen.

Passend dazu sind in der altkatholischen und evangelischen Kirche auch Menschen aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen willkommen, die ihre Liebe segnen lassen wollen. Die Segnung dient dazu, der Beziehung Ausdruck zu verleihen und die Partnerschaft vor Gott und dem Partner zu legitimieren.

„Ich glaube die Kirche hat noch nicht ganz verstanden, wie groß die Vielfalt des menschlichen Lebens wirklich ist“, meint Lars Müller-Marienburg. Er outete sich selbst mit 18 Jahren und beschreibt diese Erfahrung als positiv: „Eigentlich war mein eigenes Coming Out ein Tor zum Glauben.“ Außerdem betont er: „Wir müssen als Kirche von der Fantasie Abschied nehmen, den Leuten sagen zu können, wie sie zu leben haben.“

 

Titelbild: (c) Chiara Milo / www.chiaramilo.com


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